Startchancen-Programm
„Niemand möchte Stillstand, wenn sich die anderen bewegen“
Foto:
Martina Diedrich © Ruben Herzberg
Das Startchancen-Programm sorgt nicht nur direkt an Schulen für Veränderung. Auch hinter den Kulissen in der Schulverwaltung ist viel in Bewegung geraten. Martina Diedrich leitet das Governance-Zentrum des Startchancen-Programms am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Ihr Ziel: Die Bildungssteuerung in 16 Bundesländern verzahnen und effizienter machen. Im Interview sagt sie, wie das Governance-Zentrum vorgeht und welche Hürden sie mit ihrem Team abbauen will.
Warum brauchen wir ein Governance-Zentrum?
Um die Vielzahl der Akteure, die in den Bundesländern am Startchancen-Programm beteiligt sind, zu einem besseren und abgestimmten Miteinander zu bewegen. Schulen machen oft die Erfahrung: Es gibt ganz viele Akteure in den Ministerien, Landesinstituten, Qualitätsagenturen, Bezirksregierungen und Schulämtern, die alle in guter Absicht handeln, sich aber nicht ausreichend abstimmen. Im ersten Startchancen-Jahr haben wir deshalb mit den Ländern daran gearbeitet, dass sie selbst verstehen, was das Startchancen-Programm ihnen abverlangt und was die Steuerungsverantwortlichen tun müssen, damit die Ziele des Programms erreicht werden. Dafür haben wir mit den Ländern Wirkmodelle entwickelt, in denen sie beschreiben, was für die Zielerreichung im Programm nötig ist und wie sie dahin kommen.
Warum sprechen Sie mit allen Bundesländern einzeln?
Wir haben 16 Bildungssysteme, die sehr unterschiedlich gewachsen sind und auf dieselben Anforderungen unterschiedliche Lösungen gefunden haben. Nehmen Sie zum Beispiel die Frage: Wer ist für die Beratung der Schulen zuständig sind und wie ist sie organisiert? Das beantwortet jedes Bundesland anders. Es gibt auch in jedem Land die Funktion „Schulaufsicht“, aber es gibt große Unterschiede, wo die jeweilige Stelle organisatorisch angebunden ist und wie sie aufgebaut ist. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir das Startchancen-Programm überall auf dieselbe Weise verankern. Also versuchen wir zunächst, die Steuerungsstrukturen in allen Ländern zu verstehen und zu klären: Wer ist an der Programmsteuerung beteiligt? Wer hat welche Zuständigkeit und sollte unbedingt eingebunden werden? Wo sitzen Schulaufsicht, die Beratung, die Fortbildung? Wenn das abgeschlossen ist, reflektieren wir mit den Ländern, was verbessert werden kann – zum Beispiel kann es sein, dass zentrale Akteure nicht ausreichend eingebunden sind.
Sie bilden in den Ländern auch sogenannte Governance Boards. Wer ist daran beteiligt?
In den Governance-Boards arbeiten wir mit den Personen zusammen, die im Land für die Steuerung des Startchancen-Programms zuständig sind. Wir versuchen, diejenigen zu identifizieren, die über Steuerungsprozesse reflektieren können, aber auch Entscheidungen treffen dürfen. Dabei versuchen wir, alle Ebenen mitzudenken: Zuständige aus den Ministerien, etwa die Koordination des Startchancen-Programms, verschiedene Referatsleitungen, Verantwortliche für Mathematik und Deutsch, für Ganztag und Inklusion, die Schulaufsicht. Aber auch die Schulämter und die Kommunen sind vertreten, ebenso die Landesinstitute, die für die Qualifizierung zuständig sind. Dann gehört die Schulentwicklungsberatung dazu sowie, wo vorhanden, die Qualitätsagenturen. Es kommt also eine Menge zusammen, deshalb haben wir das für jedes Land einzeln definiert. Gerade in den Flächenländern ist das ziemlich komplex und muss sich zum Teil noch entwickeln.
Ist auch vorgesehen, dass die Länder zusammenarbeiten?
Es besteht bereits ein regelmäßiger länderübergreifender Austausch von verschiedenen Akteuren auf Bund-Länder-Ebene. Wir wollen darüber hinaus einen themenbezogenen Austausch und die inhaltliche Vernetzung zwischen den Ländern anregen. Zum Beispiel gab es Interesse daran, die eigenen Wirkmodelle mit denen der anderen Länder zu vergleichen. Auch beim Thema „datengeschützte Qualitätsentwicklung“ sind die Länder interessiert daran zu sehen, wie die anderen vorgehen. Unsere Aufgabe ist dann, solche Reflexions- und Austauschprozesse strukturiert anzubieten, damit auch etwas daraus folgen kann.
Wie offen sind die Ämter und Ministerien für die Veränderungen, die Sie anstoßen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen auf den verschiedenen Ebenen das Startchancen-Programm wirklich als eine Chance auf Veränderung sehen und sehr motiviert sind. Die Frage ist immer, wie hoch diese Bereitschaft zum Wandel in der Hierarchie reicht. In einigen Ländern geht das bis hoch zur ministeriellen Ebene, in anderen merkt man das vor allem auf der Arbeitsebene. In diesen Fällen versuchen wir, den Transformationswillen zumindest noch ein paar Ebenen höher zu bringen. Ich habe den Eindruck, dass uns da die Konkurrenz zwischen den Ländern hilft, weil niemand Stillstand möchte, wenn sich die anderen bewegen. Insgesamt ist die Bereitschaft zur Veränderung aber ziemlich groß. John Hattie hat kürzlich in einem Vortrag gesagt, er würde aktuell in Deutschland so ein Momentum spüren. Ich wusste genau, was er meint, weil es mir auch so geht.

Das Startchancen-Programm ist nicht das erste Programm, das die Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbessern soll. Was soll damit anders laufen?
An guten Programmen mangelt es uns nicht, aber das allein reicht nicht aus. Es ist, als wollten wir Wasser in einem löchrigen Eimer vom Fluss ins Haus tragen. Das Wasser ist rein und völlig in Ordnung, es kommt nur nicht an, wo es ankommen soll. Ebenso haben wir gute Programme, aber auch zu viele Abbruchkanten im System. Deshalb ist die System-Perspektive so wichtig, wir müssen die Bildungssteuerung stärker in die Verantwortung nehmen.
Profitieren auch Schulen von Ihrer Arbeit, die nicht im Startchancen-Programm sind?
Unser Anspruch ist, seitlich und zeitlich nachhaltig zu wirken und systemische Veränderung herbeizuführen. Seitlich bedeutet genau das: Die Veränderungen wirken sich auch auf Schulen außerhalb des Startchancen-Programms aus. Und die Wirkung soll natürlich über die zehn Jahre Laufzeit des Programms hinausgehen. Indem wir die Akteure in der Verwaltung sowie in den Aufsichts-, Beratungs- und Unterstützungssystemen adressieren und fortbilden, kommen wir hoffentlich zu nachhaltig günstigeren Praktiken, von denen alle Schulen profitieren.
Nehmen wir an, das Startchancen-Programm ist nach zehn Jahren ausgelaufen – was hat sich verbessert?
Erst einmal ist Unterricht für die Kinder bedeutsamer geworden: Sie haben das Gefühl, dass es dabei um sie und ihre Lernbedürfnisse geht. Außerdem sind Schulen in ihrem lokalen Umfeld zu Zentren geworden, die man auch außerhalb der Schulzeit gern besucht, weil hier viel Leben ist und Akteure aus dem Umfeld ein- und ausgehen. Wenn zum Beispiel ein Kind Logopädie braucht oder ein Instrument lernen möchte, dann kann die Schule das organisieren. Auch die Jugendhilfe ist völlig selbstverständlich mit eingebunden, so dass es unbürokratischer und schneller gelingt, Hilfen zu mobilisieren. Außerdem, das ist mein Herzenswunsch als ehemalige Leiterin des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, wird selbstverständlich mit Daten gearbeitet. Förderung erfolgt auf Grundlage einer sauberen Diagnostik. Und, letzter Punkt: Wenn man eine Schule fragt: „Weiß deine Aufsicht eigentlich, mit wem aus dem Landesinstitut ihr gerade im Kontext von Schul- oder Unterrichtsentwicklung in Kontakt seid?“ dann sagt die Schule: „Na klar weiß sie das, wir sitzen doch regelmäßig alle zusammen und sprechen darüber.“
Linktipp: www.westermann.de/startchancen
Startchancen-Programm
„Niemand möchte Stillstand, wenn sich die anderen bewegen“
Foto:
Martina Diedrich © Ruben Herzberg
Das Startchancen-Programm sorgt nicht nur direkt an Schulen für Veränderung. Auch hinter den Kulissen in der Schulverwaltung ist viel in Bewegung geraten. Martina Diedrich leitet das Governance-Zentrum des Startchancen-Programms am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Ihr Ziel: Die Bildungssteuerung in 16 Bundesländern verzahnen und effizienter machen. Im Interview sagt sie, wie das Governance-Zentrum vorgeht und welche Hürden sie mit ihrem Team abbauen will.
Warum brauchen wir ein Governance-Zentrum?
Um die Vielzahl der Akteure, die in den Bundesländern am Startchancen-Programm beteiligt sind, zu einem besseren und abgestimmten Miteinander zu bewegen. Schulen machen oft die Erfahrung: Es gibt ganz viele Akteure in den Ministerien, Landesinstituten, Qualitätsagenturen, Bezirksregierungen und Schulämtern, die alle in guter Absicht handeln, sich aber nicht ausreichend abstimmen. Im ersten Startchancen-Jahr haben wir deshalb mit den Ländern daran gearbeitet, dass sie selbst verstehen, was das Startchancen-Programm ihnen abverlangt und was die Steuerungsverantwortlichen tun müssen, damit die Ziele des Programms erreicht werden. Dafür haben wir mit den Ländern Wirkmodelle entwickelt, in denen sie beschreiben, was für die Zielerreichung im Programm nötig ist und wie sie dahin kommen.
Warum sprechen Sie mit allen Bundesländern einzeln?
Wir haben 16 Bildungssysteme, die sehr unterschiedlich gewachsen sind und auf dieselben Anforderungen unterschiedliche Lösungen gefunden haben. Nehmen Sie zum Beispiel die Frage: Wer ist für die Beratung der Schulen zuständig sind und wie ist sie organisiert? Das beantwortet jedes Bundesland anders. Es gibt auch in jedem Land die Funktion „Schulaufsicht“, aber es gibt große Unterschiede, wo die jeweilige Stelle organisatorisch angebunden ist und wie sie aufgebaut ist. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir das Startchancen-Programm überall auf dieselbe Weise verankern. Also versuchen wir zunächst, die Steuerungsstrukturen in allen Ländern zu verstehen und zu klären: Wer ist an der Programmsteuerung beteiligt? Wer hat welche Zuständigkeit und sollte unbedingt eingebunden werden? Wo sitzen Schulaufsicht, die Beratung, die Fortbildung? Wenn das abgeschlossen ist, reflektieren wir mit den Ländern, was verbessert werden kann – zum Beispiel kann es sein, dass zentrale Akteure nicht ausreichend eingebunden sind.
Sie bilden in den Ländern auch sogenannte Governance Boards. Wer ist daran beteiligt?
In den Governance-Boards arbeiten wir mit den Personen zusammen, die im Land für die Steuerung des Startchancen-Programms zuständig sind. Wir versuchen, diejenigen zu identifizieren, die über Steuerungsprozesse reflektieren können, aber auch Entscheidungen treffen dürfen. Dabei versuchen wir, alle Ebenen mitzudenken: Zuständige aus den Ministerien, etwa die Koordination des Startchancen-Programms, verschiedene Referatsleitungen, Verantwortliche für Mathematik und Deutsch, für Ganztag und Inklusion, die Schulaufsicht. Aber auch die Schulämter und die Kommunen sind vertreten, ebenso die Landesinstitute, die für die Qualifizierung zuständig sind. Dann gehört die Schulentwicklungsberatung dazu sowie, wo vorhanden, die Qualitätsagenturen. Es kommt also eine Menge zusammen, deshalb haben wir das für jedes Land einzeln definiert. Gerade in den Flächenländern ist das ziemlich komplex und muss sich zum Teil noch entwickeln.
Ist auch vorgesehen, dass die Länder zusammenarbeiten?
Es besteht bereits ein regelmäßiger länderübergreifender Austausch von verschiedenen Akteuren auf Bund-Länder-Ebene. Wir wollen darüber hinaus einen themenbezogenen Austausch und die inhaltliche Vernetzung zwischen den Ländern anregen. Zum Beispiel gab es Interesse daran, die eigenen Wirkmodelle mit denen der anderen Länder zu vergleichen. Auch beim Thema „datengeschützte Qualitätsentwicklung“ sind die Länder interessiert daran zu sehen, wie die anderen vorgehen. Unsere Aufgabe ist dann, solche Reflexions- und Austauschprozesse strukturiert anzubieten, damit auch etwas daraus folgen kann.
Wie offen sind die Ämter und Ministerien für die Veränderungen, die Sie anstoßen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen auf den verschiedenen Ebenen das Startchancen-Programm wirklich als eine Chance auf Veränderung sehen und sehr motiviert sind. Die Frage ist immer, wie hoch diese Bereitschaft zum Wandel in der Hierarchie reicht. In einigen Ländern geht das bis hoch zur ministeriellen Ebene, in anderen merkt man das vor allem auf der Arbeitsebene. In diesen Fällen versuchen wir, den Transformationswillen zumindest noch ein paar Ebenen höher zu bringen. Ich habe den Eindruck, dass uns da die Konkurrenz zwischen den Ländern hilft, weil niemand Stillstand möchte, wenn sich die anderen bewegen. Insgesamt ist die Bereitschaft zur Veränderung aber ziemlich groß. John Hattie hat kürzlich in einem Vortrag gesagt, er würde aktuell in Deutschland so ein Momentum spüren. Ich wusste genau, was er meint, weil es mir auch so geht.

Das Startchancen-Programm ist nicht das erste Programm, das die Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbessern soll. Was soll damit anders laufen?
An guten Programmen mangelt es uns nicht, aber das allein reicht nicht aus. Es ist, als wollten wir Wasser in einem löchrigen Eimer vom Fluss ins Haus tragen. Das Wasser ist rein und völlig in Ordnung, es kommt nur nicht an, wo es ankommen soll. Ebenso haben wir gute Programme, aber auch zu viele Abbruchkanten im System. Deshalb ist die System-Perspektive so wichtig, wir müssen die Bildungssteuerung stärker in die Verantwortung nehmen.
Profitieren auch Schulen von Ihrer Arbeit, die nicht im Startchancen-Programm sind?
Unser Anspruch ist, seitlich und zeitlich nachhaltig zu wirken und systemische Veränderung herbeizuführen. Seitlich bedeutet genau das: Die Veränderungen wirken sich auch auf Schulen außerhalb des Startchancen-Programms aus. Und die Wirkung soll natürlich über die zehn Jahre Laufzeit des Programms hinausgehen. Indem wir die Akteure in der Verwaltung sowie in den Aufsichts-, Beratungs- und Unterstützungssystemen adressieren und fortbilden, kommen wir hoffentlich zu nachhaltig günstigeren Praktiken, von denen alle Schulen profitieren.
Nehmen wir an, das Startchancen-Programm ist nach zehn Jahren ausgelaufen – was hat sich verbessert?
Erst einmal ist Unterricht für die Kinder bedeutsamer geworden: Sie haben das Gefühl, dass es dabei um sie und ihre Lernbedürfnisse geht. Außerdem sind Schulen in ihrem lokalen Umfeld zu Zentren geworden, die man auch außerhalb der Schulzeit gern besucht, weil hier viel Leben ist und Akteure aus dem Umfeld ein- und ausgehen. Wenn zum Beispiel ein Kind Logopädie braucht oder ein Instrument lernen möchte, dann kann die Schule das organisieren. Auch die Jugendhilfe ist völlig selbstverständlich mit eingebunden, so dass es unbürokratischer und schneller gelingt, Hilfen zu mobilisieren. Außerdem, das ist mein Herzenswunsch als ehemalige Leiterin des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, wird selbstverständlich mit Daten gearbeitet. Förderung erfolgt auf Grundlage einer sauberen Diagnostik. Und, letzter Punkt: Wenn man eine Schule fragt: „Weiß deine Aufsicht eigentlich, mit wem aus dem Landesinstitut ihr gerade im Kontext von Schul- oder Unterrichtsentwicklung in Kontakt seid?“ dann sagt die Schule: „Na klar weiß sie das, wir sitzen doch regelmäßig alle zusammen und sprechen darüber.“
Linktipp: www.westermann.de/startchancen




