Schule ohne Rassismus

Wie Schulen gegen Rechtsextremismus vorgehen können

Foto: Sanem Kleff © Wolfgang Borrs

Rechtspopulismus und Rechtsextremismus an deutschen Schulen nehmen zu. Sanem Kleff, Direktorin des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erklärt im Interview, warum rechte Ideologien Jugendliche ansprechen und was dagegen hilft.


Bei der Bundestagswahl hat sich ein deutlicher Rechtsruck in Deutschland gezeigt. Wie sieht das auf Ebene der Schulen aus?

Sanem Kleff: Der Rechtsruck ist das Ergebnis eines längeren Prozesses, der in ganz Europa stattfindet. Mit Trump und Putin gibt es Bezugspunkte auch über Europa hinaus. Die Rechtsextremen sind europaweit extrem gut darin, sich auf Tiktok cool zu präsentieren. Das ist wichtig zu wissen, weil junge Menschen gern Teil von großen Bewegungen sein wollen.

Der Rechtsruck zeigt sich vor allem dadurch, dass eine Normalisierung von objektiv als rechtsextrem zu bezeichnenden Positionen, Haltungen und Verhaltensweisen stattfindet. Noch vor fünf Jahren hätte man die unsäglichen Äußerungen von Donald Trump über Frauen viel stärker kritisiert, inzwischen wird das hingenommen und darüber gelacht. Ebenso die homophoben Debatten, auch außerhalb Deutschlands, in denen sexuelle Vielfalt und gleichgeschlechtliche Sexualität offen abgelehnt werden. Das sickert durch bis in die Schulklassen. Wenn Landesregierungen oder Ministerien Gendersprache verbieten, tragen sie solche Gedanken ebenfalls in Schulen. Denn dabei geht es nicht um Sprache, sondern um die Leugnung von sexueller Vielfalt.

Sind diese Entwicklungen überall in gleichem Maße sichtbar?

Nein, wir sehen deutliche regionale Unterschiede, vor allem ein Stadt-Land-Gefälle. Es kommt vor, dass sich Courage-Schulen im ländlichen Raum bei uns melden und sagen: „Wir würden gern einen Projekttag durchführen, trauen uns aber nicht. Alle hier wissen, wo wir wohnen und wo unsere Kinder in die Kita gehen.“ Früher haben wir Argumentations-Workshops zu der Frage durchgeführt: „Was mache ich, wenn plötzlich eine Person im Kollegium über Deportationen spricht?“ Aber darum geht es an vielen Orten gar nicht mehr, in Kollegien können es auch mal 10 zu 30 sein. Wenn in einem Wahlkreis 30 oder 50 Prozent eine rechtsextreme Partei wählen, dann sind darunter eben auch Eltern und Lehrkräfte.

Was können Schulen tun, um Kinder widerstandsfähiger gegenüber Rechtsextremismus und Diskriminierung zu machen?

Ich könnte jetzt – pessimistisch oder realistisch – sagen: Offensichtlich haben ja alle präventiven Maßnahmen von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft nicht verhindern können, dass der Rechtsextremismus an Schulen zunimmt. Wir könnten jetzt einander die Schuldkarte zuschieben: Liegt es an den Gesetzen auf Bund- oder Länderebene, an den sozialen Umständen, der Lehrkräfteausbildung? Ich glaube, dass alle in diesem System eine Rolle spielen und dass wir deshalb nur gemeinsam aus dieser Lage hinausfinden. Die Kernfragen sind also: Wollen wir gemeinsam diesen Rechtsruck stoppen? Für welches Menschenbild soll Schule stehen? Wenn wir uns darüber einig sind, können wir Antworten auf die Frage finden, was wir Pädagoginnen und Pädagogen dafür brauchen.

Wie sehen Sie das persönlich?

Meine Antwort darauf auf diese Frage ist kurz. Ich glaube, wir brauchen keine neuen Leitlinien, wir müssen uns nur stärker an den bestehenden orientieren: den Menschenrechten und dem Grundgesetz, demzufolge die Würde des Menschen unantastbar ist. An den Gesetzen, die Diskriminierung verbieten. Wenn wir das ernst nehmen, dann ist auch glasklar, was daraus für Schulen folgt. Wir müssen im Jahr 2025 nicht mehr detailliert formulieren, welche Ansätze an Schulen Demokratiefähigkeit und Selbstwertgefühl fördern oder wie wir für Menschenrechte sensibilisieren. Das ist eine Frage politischen Willens, nicht der Arbeitsblätter. Schulische Akteure müssen sich als gesamtgesellschaftliche Akteure begreifen.

Wie engagiert sich das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“?

Wir versuchen, Schulen mit all unseren Praxis-Formaten, Angeboten, Maßnahmen, Materialien, Referentinnen und Referenten zu unterstützen. Einer der Kernpunkte ist die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit. Dafür braucht es Zeit und Zuwendung zu jedem einzelnen Individuum, da stoßen wir an die Grenzen des Systems Schule. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Schule eine perfekte Institution ist, um Menschen in einem Alter, in dem sie noch sehr offen sind, positive Erfahrungen zu ermöglichen. Mit unseren Angeboten versuchen wir, Soft Skills zu stärken, die unter anderem wichtig sind für einen kritischen Blick auf das Leben und die Medien. Wir vermitteln Informationen über rechte Bewegungen und machen deutlich: Es ist nicht wie bei einem Fußballspiel, bei dem zwei gleichwertige Teams einander gegenüberstehen. Die Überzeugung von der Gleichwertigkeit anderer Menschen und menschenfeindliche Haltungen sind keine gleichrangigen Meinungen oder Ideologien. Man kann sie nicht vereinbaren. Das zu verdeutlichen ist eines der Hauptziele aller Akteure in unserem Netzwerk. Dazu gehören aktuell rund 4.760 Courage-Schulen sowie etwa 400 außerschulische Kooperationspartner.

Beobachten Sie an Schulen erste Anzeichen für eine Gegenbewegung gegen Rechtsextremismus?

Nein, leider nicht. Wir sehen eher, dass die Polarisierung zunimmt. Die einen werden in die eine Richtung aktiver, die anderen in die andere Richtung. Mich tröstet ein wenig, dass wir noch nicht absehen können, wie es weitergeht. Wir sind auf einem abschüssigen Gleis unterwegs, aber noch nicht ganz unten. Deutschland ist nicht Ungarn, Italien oder die USA. Es wird viel davon abhängen, was in den kommenden ein oder zwei Jahren geschieht. Egal, wie man zu den Parteien steht, die gerade an der Regierung sind – wir müssen uns in dieser Situation eine stabile Bundesregierung wünschen. Ein Abrutschen nach rechts geschieht vor allem in politischen Krisenzeiten. Deshalb ist Solidarität das Gebot der Stunde.

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Foto: Sanem Kleff © Wolfgang Borrs

Rechtspopulismus und Rechtsextremismus an deutschen Schulen nehmen zu. Sanem Kleff, Direktorin des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erklärt im Interview, warum rechte Ideologien Jugendliche ansprechen und was dagegen hilft.


Bei der Bundestagswahl hat sich ein deutlicher Rechtsruck in Deutschland gezeigt. Wie sieht das auf Ebene der Schulen aus?

Sanem Kleff: Der Rechtsruck ist das Ergebnis eines längeren Prozesses, der in ganz Europa stattfindet. Mit Trump und Putin gibt es Bezugspunkte auch über Europa hinaus. Die Rechtsextremen sind europaweit extrem gut darin, sich auf Tiktok cool zu präsentieren. Das ist wichtig zu wissen, weil junge Menschen gern Teil von großen Bewegungen sein wollen.

Der Rechtsruck zeigt sich vor allem dadurch, dass eine Normalisierung von objektiv als rechtsextrem zu bezeichnenden Positionen, Haltungen und Verhaltensweisen stattfindet. Noch vor fünf Jahren hätte man die unsäglichen Äußerungen von Donald Trump über Frauen viel stärker kritisiert, inzwischen wird das hingenommen und darüber gelacht. Ebenso die homophoben Debatten, auch außerhalb Deutschlands, in denen sexuelle Vielfalt und gleichgeschlechtliche Sexualität offen abgelehnt werden. Das sickert durch bis in die Schulklassen. Wenn Landesregierungen oder Ministerien Gendersprache verbieten, tragen sie solche Gedanken ebenfalls in Schulen. Denn dabei geht es nicht um Sprache, sondern um die Leugnung von sexueller Vielfalt.

Sind diese Entwicklungen überall in gleichem Maße sichtbar?

Nein, wir sehen deutliche regionale Unterschiede, vor allem ein Stadt-Land-Gefälle. Es kommt vor, dass sich Courage-Schulen im ländlichen Raum bei uns melden und sagen: „Wir würden gern einen Projekttag durchführen, trauen uns aber nicht. Alle hier wissen, wo wir wohnen und wo unsere Kinder in die Kita gehen.“ Früher haben wir Argumentations-Workshops zu der Frage durchgeführt: „Was mache ich, wenn plötzlich eine Person im Kollegium über Deportationen spricht?“ Aber darum geht es an vielen Orten gar nicht mehr, in Kollegien können es auch mal 10 zu 30 sein. Wenn in einem Wahlkreis 30 oder 50 Prozent eine rechtsextreme Partei wählen, dann sind darunter eben auch Eltern und Lehrkräfte.

Was können Schulen tun, um Kinder widerstandsfähiger gegenüber Rechtsextremismus und Diskriminierung zu machen?

Ich könnte jetzt – pessimistisch oder realistisch – sagen: Offensichtlich haben ja alle präventiven Maßnahmen von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft nicht verhindern können, dass der Rechtsextremismus an Schulen zunimmt. Wir könnten jetzt einander die Schuldkarte zuschieben: Liegt es an den Gesetzen auf Bund- oder Länderebene, an den sozialen Umständen, der Lehrkräfteausbildung? Ich glaube, dass alle in diesem System eine Rolle spielen und dass wir deshalb nur gemeinsam aus dieser Lage hinausfinden. Die Kernfragen sind also: Wollen wir gemeinsam diesen Rechtsruck stoppen? Für welches Menschenbild soll Schule stehen? Wenn wir uns darüber einig sind, können wir Antworten auf die Frage finden, was wir Pädagoginnen und Pädagogen dafür brauchen.

Wie sehen Sie das persönlich?

Meine Antwort darauf auf diese Frage ist kurz. Ich glaube, wir brauchen keine neuen Leitlinien, wir müssen uns nur stärker an den bestehenden orientieren: den Menschenrechten und dem Grundgesetz, demzufolge die Würde des Menschen unantastbar ist. An den Gesetzen, die Diskriminierung verbieten. Wenn wir das ernst nehmen, dann ist auch glasklar, was daraus für Schulen folgt. Wir müssen im Jahr 2025 nicht mehr detailliert formulieren, welche Ansätze an Schulen Demokratiefähigkeit und Selbstwertgefühl fördern oder wie wir für Menschenrechte sensibilisieren. Das ist eine Frage politischen Willens, nicht der Arbeitsblätter. Schulische Akteure müssen sich als gesamtgesellschaftliche Akteure begreifen.

Wie engagiert sich das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“?

Wir versuchen, Schulen mit all unseren Praxis-Formaten, Angeboten, Maßnahmen, Materialien, Referentinnen und Referenten zu unterstützen. Einer der Kernpunkte ist die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit. Dafür braucht es Zeit und Zuwendung zu jedem einzelnen Individuum, da stoßen wir an die Grenzen des Systems Schule. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Schule eine perfekte Institution ist, um Menschen in einem Alter, in dem sie noch sehr offen sind, positive Erfahrungen zu ermöglichen. Mit unseren Angeboten versuchen wir, Soft Skills zu stärken, die unter anderem wichtig sind für einen kritischen Blick auf das Leben und die Medien. Wir vermitteln Informationen über rechte Bewegungen und machen deutlich: Es ist nicht wie bei einem Fußballspiel, bei dem zwei gleichwertige Teams einander gegenüberstehen. Die Überzeugung von der Gleichwertigkeit anderer Menschen und menschenfeindliche Haltungen sind keine gleichrangigen Meinungen oder Ideologien. Man kann sie nicht vereinbaren. Das zu verdeutlichen ist eines der Hauptziele aller Akteure in unserem Netzwerk. Dazu gehören aktuell rund 4.760 Courage-Schulen sowie etwa 400 außerschulische Kooperationspartner.

Beobachten Sie an Schulen erste Anzeichen für eine Gegenbewegung gegen Rechtsextremismus?

Nein, leider nicht. Wir sehen eher, dass die Polarisierung zunimmt. Die einen werden in die eine Richtung aktiver, die anderen in die andere Richtung. Mich tröstet ein wenig, dass wir noch nicht absehen können, wie es weitergeht. Wir sind auf einem abschüssigen Gleis unterwegs, aber noch nicht ganz unten. Deutschland ist nicht Ungarn, Italien oder die USA. Es wird viel davon abhängen, was in den kommenden ein oder zwei Jahren geschieht. Egal, wie man zu den Parteien steht, die gerade an der Regierung sind – wir müssen uns in dieser Situation eine stabile Bundesregierung wünschen. Ein Abrutschen nach rechts geschieht vor allem in politischen Krisenzeiten. Deshalb ist Solidarität das Gebot der Stunde.

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