Bildungswege verfolgen

Besser planen mit der Schüler-ID

Foto: Corinna Kleinert © LIBi/Thomas Riese

Laut Koalitionsvertrag soll Deutschland bald eine bundesweit einheitliche Schüler-ID bekommen. Corinna Kleinert, stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe und Professorin für Soziologie in Bamberg, erzählt, was sie sich von den IDs erhofft und was für die Einführung nötig ist.


Was ist der Zweck von Schüler-IDs?

Corinna Kleinert: Schulen wissen schon heute, wer ihre Schülerinnen und Schüler sind. Die Schulen stellen den statistischen Landesämtern Daten für die Schulstatistiken zur Verfügung. Allerdings sind diese Daten immer nur querschnittlich. Wir wissen pro Schule, wie viele Schülerinnen und Schüler kommen und gehen oder wie viele welche Abschlüsse erreichen. Das gleiche wissen wir von Auszubildenden. Aber wir wissen nichts über Ströme. Dafür bräuchten wir die Möglichkeit, die Daten eines Schülers aus der Grundschule mit denen des Schülers an der weiterführenden Schule und darüber hinaus zusammenzubringen. Dann könnten wir zum Beispiel erstmals zuverlässig sehen, welche Bildungswege Schülerinnen und Schüler wählen, die in einem bestimmten Jahr den Schulabschluss erreicht haben.

Wieso ist es relevant, Bildungswege nachzuvollziehen?

Mir ist ganz wichtig zu sagen: Es geht nicht darum, die Daten einzelner Schülerinnen und Schüler nachzuvollziehen, daran haben weder die Forschung noch die Bildungsverwaltung Interesse. Das Ziel ist vielmehr, aus den gebündelten Daten Ströme abzuleiten. Wie verteilen sich die Kinder, wenn sie aus der Grundschule kommen, auf die weiterführenden Schulen? Damit lassen sich zum Beispiel Übergänge und Schulbau besser planen. Andere Fragen wären: Wie viele Schülerinnen und Schüler wechseln zwischen verschiedenen Schulformen oder wiederholen im Laufe ihrer Schullaufbahn eine Klasse? Wir haben außerdem große Übergangsprobleme in den Ausbildungsbereich. Mit Schüler-IDs könnten wir im Längsschnitt sehen, aus welchen Schulen die Auszubildenden kommen und wo vermehrt Schülerinnen und Schüler mit dem Ende der Schulpflicht vom Radar verschwinden. Derzeit vermuten wir, dass diese Zahl zunimmt, aber wir wissen es nicht genau. Mit solchen Daten kann man gezielt planen, wie man diese Schülerinnen und Schüler besser erreicht, bevor sie ungelernt mit einem hohen Arbeitslosigkeitsrisiko in den Arbeitsmarkt gehen.

Wie könnte die ID vergeben werden?

Wir haben in Deutschland schon etablierte länderübergreifende Systeme, die mit IDs arbeiten. Jedes Kind bekommt etwa nach der Geburt eine Steuer-ID, die könnte man theoretisch für ein Bildungsverlaufsregister nutzen. Praktisch können wir das aber nicht, weil gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sie nur für den Zensus verwendet werden darf. Wir haben auch in einzelnen Bundesländern schon Schülerindividualstatistiken. Aber es gibt noch keine bundesweit einheitliche Lösung. Die Vereinheitlichung der vorhandenen Systeme in den Ländern wird vermutlich zunächst aufwendig. Aber langfristig werden die Schüler-IDs zu einer Verschlankung der Verwaltung führen, zum Beispiel bei Umzügen über Ländergrenzen hinweg.

Gibt es ein Bundesland, das Sie als Vorreiter betrachten würden?

Hamburg zieht sehr viel Nutzen aus der längsschnittlichen Schülerstatistik und seinem eigenen Monitoring. Inzwischen zeigt sich auch, dass sich das Bildungssystem dort verbessert hat. Allerdings wird in Hamburg auch die Kompetenzentwicklung im Längsschnitt erfasst. Es ist nicht unbedingt gesagt, dass es das auf Bundesebene auch geben wird.

Welche Daten sollen mit der Schüler-ID verknüpft werden?

Das ist noch gar nicht abschließend geklärt. Die absolute Basis sind Informationen über Schule und Schultyp mit Ein- und Austrittsdaten. Damit kann man sehen, ob es Brüche gibt und wie die Ströme verlaufen. Sinnvoll sind auch soziodemografische Daten, die die Schulen ja ebenfalls vorhalten. Für die Ungleichheitsforschung wäre es auch sinnvoll, Informationen wie Sprachförderbedarfe und Migrationshintergrund zu erfassen.

Über welche Lebensphasen hinweg soll die ID aktiv sein?

Primär sollte die ID Daten über die gesamte institutionelle Bildungsphase einbeziehen, also Schule, Ausbildung und Studium. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, in dem ich Mitglied bin, empfiehlt darüber hinaus auch eine Verknüpfbarkeit mit anderen Registern. Dadurch könnten wir auch Bildungserträge im späteren Leben statistisch untersuchen.

Die Schüler-ID soll sensible Daten speichern. Wie kann der Datenschutz sichergestellt werden?

Dafür gibt es in Deutschland schon Vorbilder in anderen Bereichen. Zum Beispiel laufen die Daten aus der Sozialversicherung und der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Der Datenschutz funktioniert mithilfe sogenannter Datensilos, in denen die Daten nach sehr strengen Vorgaben getrennt voneinander gespeichert sind. Als Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten empfehlen wir, die Schüler-IDs bei einem Datentreuhänder zu halten. Nur dieser wäre dann in der Lage, die Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen. Für Stellen, die mit den Daten arbeiten wollen, ist damit nicht rekonstruierbar, welche Menschen hinter den Daten stehen. Eines allerdings muss man immer dazu ergänzen: Die guten Regelungen, die es schon gibt, funktionieren nur, solange ein Rechtsstaat existiert. Das ist vielleicht das ultimative Risiko.

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Besser planen mit der Schüler-ID

Foto: Corinna Kleinert © LIBi/Thomas Riese

Laut Koalitionsvertrag soll Deutschland bald eine bundesweit einheitliche Schüler-ID bekommen. Corinna Kleinert, stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe und Professorin für Soziologie in Bamberg, erzählt, was sie sich von den IDs erhofft und was für die Einführung nötig ist.


Was ist der Zweck von Schüler-IDs?

Corinna Kleinert: Schulen wissen schon heute, wer ihre Schülerinnen und Schüler sind. Die Schulen stellen den statistischen Landesämtern Daten für die Schulstatistiken zur Verfügung. Allerdings sind diese Daten immer nur querschnittlich. Wir wissen pro Schule, wie viele Schülerinnen und Schüler kommen und gehen oder wie viele welche Abschlüsse erreichen. Das gleiche wissen wir von Auszubildenden. Aber wir wissen nichts über Ströme. Dafür bräuchten wir die Möglichkeit, die Daten eines Schülers aus der Grundschule mit denen des Schülers an der weiterführenden Schule und darüber hinaus zusammenzubringen. Dann könnten wir zum Beispiel erstmals zuverlässig sehen, welche Bildungswege Schülerinnen und Schüler wählen, die in einem bestimmten Jahr den Schulabschluss erreicht haben.

Wieso ist es relevant, Bildungswege nachzuvollziehen?

Mir ist ganz wichtig zu sagen: Es geht nicht darum, die Daten einzelner Schülerinnen und Schüler nachzuvollziehen, daran haben weder die Forschung noch die Bildungsverwaltung Interesse. Das Ziel ist vielmehr, aus den gebündelten Daten Ströme abzuleiten. Wie verteilen sich die Kinder, wenn sie aus der Grundschule kommen, auf die weiterführenden Schulen? Damit lassen sich zum Beispiel Übergänge und Schulbau besser planen. Andere Fragen wären: Wie viele Schülerinnen und Schüler wechseln zwischen verschiedenen Schulformen oder wiederholen im Laufe ihrer Schullaufbahn eine Klasse? Wir haben außerdem große Übergangsprobleme in den Ausbildungsbereich. Mit Schüler-IDs könnten wir im Längsschnitt sehen, aus welchen Schulen die Auszubildenden kommen und wo vermehrt Schülerinnen und Schüler mit dem Ende der Schulpflicht vom Radar verschwinden. Derzeit vermuten wir, dass diese Zahl zunimmt, aber wir wissen es nicht genau. Mit solchen Daten kann man gezielt planen, wie man diese Schülerinnen und Schüler besser erreicht, bevor sie ungelernt mit einem hohen Arbeitslosigkeitsrisiko in den Arbeitsmarkt gehen.

Wie könnte die ID vergeben werden?

Wir haben in Deutschland schon etablierte länderübergreifende Systeme, die mit IDs arbeiten. Jedes Kind bekommt etwa nach der Geburt eine Steuer-ID, die könnte man theoretisch für ein Bildungsverlaufsregister nutzen. Praktisch können wir das aber nicht, weil gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sie nur für den Zensus verwendet werden darf. Wir haben auch in einzelnen Bundesländern schon Schülerindividualstatistiken. Aber es gibt noch keine bundesweit einheitliche Lösung. Die Vereinheitlichung der vorhandenen Systeme in den Ländern wird vermutlich zunächst aufwendig. Aber langfristig werden die Schüler-IDs zu einer Verschlankung der Verwaltung führen, zum Beispiel bei Umzügen über Ländergrenzen hinweg.

Gibt es ein Bundesland, das Sie als Vorreiter betrachten würden?

Hamburg zieht sehr viel Nutzen aus der längsschnittlichen Schülerstatistik und seinem eigenen Monitoring. Inzwischen zeigt sich auch, dass sich das Bildungssystem dort verbessert hat. Allerdings wird in Hamburg auch die Kompetenzentwicklung im Längsschnitt erfasst. Es ist nicht unbedingt gesagt, dass es das auf Bundesebene auch geben wird.

Welche Daten sollen mit der Schüler-ID verknüpft werden?

Das ist noch gar nicht abschließend geklärt. Die absolute Basis sind Informationen über Schule und Schultyp mit Ein- und Austrittsdaten. Damit kann man sehen, ob es Brüche gibt und wie die Ströme verlaufen. Sinnvoll sind auch soziodemografische Daten, die die Schulen ja ebenfalls vorhalten. Für die Ungleichheitsforschung wäre es auch sinnvoll, Informationen wie Sprachförderbedarfe und Migrationshintergrund zu erfassen.

Über welche Lebensphasen hinweg soll die ID aktiv sein?

Primär sollte die ID Daten über die gesamte institutionelle Bildungsphase einbeziehen, also Schule, Ausbildung und Studium. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, in dem ich Mitglied bin, empfiehlt darüber hinaus auch eine Verknüpfbarkeit mit anderen Registern. Dadurch könnten wir auch Bildungserträge im späteren Leben statistisch untersuchen.

Die Schüler-ID soll sensible Daten speichern. Wie kann der Datenschutz sichergestellt werden?

Dafür gibt es in Deutschland schon Vorbilder in anderen Bereichen. Zum Beispiel laufen die Daten aus der Sozialversicherung und der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Der Datenschutz funktioniert mithilfe sogenannter Datensilos, in denen die Daten nach sehr strengen Vorgaben getrennt voneinander gespeichert sind. Als Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten empfehlen wir, die Schüler-IDs bei einem Datentreuhänder zu halten. Nur dieser wäre dann in der Lage, die Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen. Für Stellen, die mit den Daten arbeiten wollen, ist damit nicht rekonstruierbar, welche Menschen hinter den Daten stehen. Eines allerdings muss man immer dazu ergänzen: Die guten Regelungen, die es schon gibt, funktionieren nur, solange ein Rechtsstaat existiert. Das ist vielleicht das ultimative Risiko.

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